Was entscheidet eigentlich bei Zeitgleichheit über ein Weiterkommen?
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- Geschrieben von Axel Hermanns
(Krefeld/Peking, 25. August 2015) Wer seit Jahren über die ehedem olympische Kernsportart Leichtathletik einem Millionenpublikum an den Bildschirmen berichtet, der sollte schon ein paar elementare Regeln drauf haben. Der von mir durchaus geschätzte Sigi Heinrich vom Spartensender EUROSPORT trug mit seinem Geeiere bei mehrfacher Zeitgleichheit bei den 100-m-Sprints zur allgemeinen Verunsicherung bei. Auch der eigenen. Bei Rebekka Haase (LV Erzgebirge) war er sich noch sicher, dass das Überhangmandat bei drei zeitgleichen, nicht direkt qualifizierten Sprinterinnen (alle 11,29) aufgrund der schlechteren Platzierung zu Lasten von Krause für ein Weiterkommen in eines der drei Halbfinals (ein Anachronismus, müsste eigentlich Drittelfinale heißen) gegangen sei.
Die gleiche Situation gab es bei den Männern eine Etage höher für den Einzug in den Endlauf. Direkt qualifizierten sich die jeweils zwei Erstplatzierten der drei „Halbfinals" und weitere zwei Zeitschnellste. Da gab es jedoch derer Drei mit je 9,99 Sekunden. Aus dem ersten Vorschlussrennen Trayvon Bromell (USA) als Dritten und Bingtian Su (China) als Viertplatzierten sowie aus dem dritten Jimmy Vicaut aus Frankreich als Drittplatzierten. „Wat nu?“, meinte Heinrich sinngemäß, machte sich Ratlosigkeit bei ihm breit. Dabei hätte es nach seiner vorherigen Schlussfolgerung bei den Frauen doch klar sein müssen, dass der Chinamann eigentlich zum Zuschauen verurteilt sein müsste. Als dann auch bei ihm in der Ergebnisliste das kleine „q“ auftauchte, lobte der gute Sigi es als „kluge, weise Entscheidung“, die vorhandene neunte Sprintgerade zu nutzen.Derweil argwöhnte ich eine „lex spezialis“ mit einer Regelbeugung (acht Finalisten sind nun mal keine neun) als Verbeugung vor dem Gastgeberland. Zugegebenermaßen tappte ich genauso im Dunkeln wie der wortgewandte Bajuware am Mikrofon des Fernsehsenders. Deshalb vergewisserte ich mich telefonisch bei Regelexperte Dieter Tisch (Ludwigshafen), zugleich Vizepräsident des Leichtathletik-Verbandes Pfalz. Dieter wusste natürlich Rat. Bei Zeitgleichheit spielt die Platzierung für ein Weiterkommen überhaupt keine Rolle. Darüber entscheiden allein die mit gemessenen, aber nicht mehr öffentlich angezeigten Tausendstelsekunden. Die müssen bei Su und Vicaut ebenfalls identisch gewesen sein. Glücklicherweise hatten sie in ihren unterschiedlichen Läufen auch den gleichen Gegenwind von 0,4m/sec., was allerdings keine Berücksichtigung finden würde. In einem solchen Fall wird schlicht und ergreifend gelost. Also eine Art Glücksspiel. Da aber eben im "Vogelnest" zu Peking eine neunte Bahn vorhanden ist, ließen die Verantwortlichen Gnade vor Recht ergehen.
Insofern war es tatsächlich eine weise Entscheidung.