Drehstoß-Interpret Thomas Schmitt drang in unfassbare Dimensionen vor
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- Geschrieben von Axel Hermanns
(Übach-Palenberg/Krefeld, 21. März 2015) Insbesondere Kenner der Materie sollten sich vor dem Weiterlesen anschnallen, zumindest aber festen Halt verschaffen. Denn als mir Lampis-Gründervater Peter Holthuijsen als Augen- und Zeitzeuge die telefonische Mitteilung machte, hat’s mich fast umgehauen, habe ich ihn erst mal gefragt, ob er wisse, dass wir heute noch nicht den 1. April hätten. Er versicherte mir, mich nicht zu veräppeln. Zur Sache: Drehstoß-Interpret Thomas Schmitt (*1989) vom LT DSHS Köln stieß buchstäblich in unfassbare Dimensionen vor. Der 26-jährige Wahl-Kölner aus Kerpen wuchtete beim Frühjahrswerfertag in Übach-Palenberg die Kugel im vierten Versuch auf 21,35 Meter und hievte damit sich sowie den beschaulichen 25.000-Seelen-Ort in die Leichtathletik-Geschichtsbücher. Aus dem Nirwana der „ewigen“ deutschen Bestenliste, in der er bislang mit seinen 19,07m vom 25. Mai 2013 in Halle an der Saale unter den ersten Dreißig überhaupt nicht geführt war, katapultierte er sich auf die achte Position, lediglich zwei Zentimeter hinter einer ehedem internationalen Größe wie Ralf Bartels. Seine persönliche Bestleistung pulverisierte Schmitt um 2,28 Meter, seinen vorjährigen Hausrekord (18,10m) um 3,25 Meter. Das ist der ganz normale Wahnsinn. Noch eine Zahl zum Vergleich: Kugelstoß-Wunderknabe David Storl (*1990) vom LAZ Leipzig wurde Anfang März in kuschelig-warmer Halle in Prag mit 21,23m Europameister. Derweil herrschten in „Übach“ Nieselregen und gerade einmal sechs Grad. Dass es sich zugleich um europäische Jahresbestleistung handelt, ist freilich allenfalls eine Randnotiz, da die Asse erst im Wonnemonat Mai aufzuschlagen pflegen.
Als Student der Physik an der Uni Köln, der momentan seine Masterarbeit schreibt, kennt sich der Kerpener zwar mit den physikalischen Gesetzen bestens aus. Aber sein Traumstoß kippte ihn auch aus den Schuhen. Er konnte es nicht glauben, mutmaßte zunächst einen Mess- oder Ablesefehler. Als Veranstaltungsleiter Dieter Tobies selbst noch einmal Hand anlegte und es in der Umgebung ohnehin der einzige Abdruck war, konnte jeder Zweifel ausgeschlossen werden. Auch die vor dem Wettkampf bereits gewogene und für korrekt befundene Kugel passierte nochmals die Waage und hatte drei Gramm mehr als die erforderlichen 7,26 Kilogramm. Mit den nunmehr unumstößlichen Tatsachen konfrontiert, erlebte Thomas seine Umgebung fortan nur noch in Trance, war fassungslos und verzichtete logischerweise auf die noch anstehenden zwei Versuche. Das sprengte jeden Rahmen und jegliche Vorstellungskraft, wenngleich er sich nach den vorherigen Trainingseindrücken in sehr guter Verfassung befand und er mit einer Weite im hohen 19-Meter- Bereich geliebäugelt hatte. Darauf schien es auch nach 19,44m zum Auftakt, der Zwischenstation von 18,77m und 19,94m im dritten Durchgang hinaus zu laufen. Ehe er dann jenen Kracher von 21,35m zündete, bei dem nach Aussage von Holthuijsen einfach restlos alles gepasst hatte.
An solch einem Überding ist schon manch einer sportlich zerbrochen. Es sei nur an Weitspringer Bob Beamon (USA) erinnert, der bei seinem Olympiasieg 1968 in Mexico City mit 8,90 Meter in für nicht möglich gehaltene Regionen vordrang und daran nie mehr auch nur annähernd herankam. Und schwergewichtige Kugelstoßer haben längst nicht das Gemüt eines Fleischerhundes, das ihnen gerne – fälschlicherweise – nachgesagt wird. Bleibt für Schmitt und die bundesdeutsche Szene zu hoffen, dass es keine Eintagsfliege war.
Mit meiner Samstagsruhe war es natürlich auch vorbei. Abgesehen von diesen Zeilen habe ich vorher selbstverständlich alte Seilschaften bemüht und den Sportinformationsdienst (SID) telefonisch mit den Details versorgt. Wenig später war es bereits im Videotext der Fernsehsender und Online-Zeitungen bis hin zum Focus nachzulesen.