Doping: Ganz üble Tricksereien unter dem Dach des Fachverbandes
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- Geschrieben von Axel Hermanns
(Melsungen/Krefeld, 12. März 2015) Als irgendwer vor ein paar Wochen die längst verschüttet geglaubten Dopingpraktiken des lange Zeit als Guru gehandelten Freiburger Sportmediziners Prof. Dr. Armin Klümper wieder ausgegraben hatte, erinnerten sich Presse, Funk und Fernsehen an den ehemaligen Weltklasse-Diskuswerfer Alwin J. Wagner (*11. August 1950) aus Melsungen bei Kassel. Der in seiner Blütezeit für den USC Mainz startende Wagner war der einzige Leichtathlet, der sich noch zu seiner aktiven Zeit bekannte, gedopt zu haben. Der Mann hatte sicher einiges zu erzählen, wurde richtig gemutmaßt. Fortan tingelte Alwin 14 Tage lang als leibhaftiger Wanderpokal durch einschlägige Sportsendungen bei der ARD, dem SWR und HR , war im doppelten Wortsinne gefragter Interviewpartner bei unzähligen bekannten Tageszeitungen wie „Süddeutsche“, Bild, Rheinische Post, um nur einige zu nennen. Da plauderte er pointiert aus dem „Nähkästchen“. Nicht alle unsere Besucher werden alles gesehen, gehört und gelesen haben. Und längst nicht alles konnte Alwin aus Zeitgründen erzählen. Deshalb kommt er bei uns in einer Abhandlung ausführlich zu Wort, die wir wegen des großen Umfanges in den kommenden drei Tagen im Fenster „Flurfunk“ häppchenweise veröffentlichen werden.
Nach Wandlung vom Saulus zum Paulus geächtet
Vorab zum besseren Verständnis noch einige Details vom Sportler Alwin Wagner, der als Ehemann und Vater eines Sohnes und dreier Töchter natürlich auch ein Privatleben hat. Ein intaktes dazu. Ganz stark eingedampft und per Saldo immer noch zu episch geraten: Alwin bestritt 44 A-Länderkämpfe, davon viele als „Playing Captain“, war von 1981 bis ’85 fünfmal in Serie Deutscher Meister im Diskuswurf. Damit einmal, nämlich 1985, schon in der post-anabolen Phase. Denn gedopt hatte er, zunächst gesteuert vom damaligen Diskuswurf-Bundestrainer Karlheinz Steinmetz und später von Klümper, in so genannten „Kuren“ vorwiegend zwischen Januar und März von 1977 bis rund drei Wochen vor den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles, wo er den sechsten Platz belegte. Danach wandelte sich der gläubige Katholik vom Saulus zum Paulus, wurde zum Mahner und Warner derartiger leistungsfördernder, verbotener Substanzen. Das verkleinerte schlagartig seinen Freundeskreis in der munter weiter werkelnden Szene der vermeintlich „Hochbegabten“. Er galt als Nestbeschmutzer und Verräter, nur weil er die Wahrheit sagte, wurde geächtet und geschnitten. Der Begriff Mobbing war 1984 noch nicht erfunden.
Bestleistung nach erster "Kur" um 4 Meter gesteigert
Der noch „unschuldige, saubere“ Alwin warf 1976 bei einem Länderkampf in der Schweiz 61,88m, brachte bei 1,97 Meter Körpergröße 105 Kilogramm auf die Waage. Das Gewicht steigerte er bei weiterhin gut definierter Muskulatur und sehr athletischer, austrainierter Figur bis zu den Sommerspielen 1984 sukzessive auf letztlich 134,2 kg. Seine ohnehin schon respektablen Kraftwerte in der Hantelkniebeuge gingen nach der ersten „Mast“ im Frühjahr 1977 mit einem Plus von 40 Kilo quasi durch die Decke des Kraftraumes. Beim ersten saisonalen Wettkampf im Mai desselben Jahres warf er 65,88m, übertraf seine bisherige Bestweite mal eben um 4,00 Meter. Aber fast noch erstaunlicher, dass der Wahl-Mainzer seine persönliche Bestleistung (PBL) von 67,80m im August 1987, bei freilich begünstigendem Gegenwind, auf seiner Heimanlage in Melsungen erzielte. Folglich zu einem Zeitpunkt, bei dem er schon drei Jahre „clean“ war. Er führte es auf sein stark angehobenes Grundniveau und die Erhöhung seines Körpergewichtes durch die anabolen Steroide zurück.
Hohes Grundniveau auch nach Absetzung gehalten
Denn entgegen vieler anderer Sp(r)itzenathleten, die notgedrungen absetzen mussten, und sei es nur vor wichtigen Wettkämpfen mit dem darüber schwebenden Damoklesschwert von Kontrollen, fiel er nicht vom Fleische und verlor vor allem nicht den Glauben an seine Leistungsfähigkeit. Selbst nach der operativen Entfernung eines bösartigen Hirntumors im Herbst 1987 nicht. Scheinbar fortan ohne Perspektive, warf ihn der DLV aus dem Olympiakader für die OS 1988 in Seoul. Nach einem gemeinsamen mehrwöchigen Trainingslager in Melsungen mit dem aus der DDR ausgebürgerten Wolfgang Schmidt (PBL 71,16m) und dem 2011 verstorbenen Schweden Ricky Bruch (PBL 71,26 m) warf Wagner im Juni 1988 bei einem Qualifikationswettkampf in Flein 64,64m und schlug Schmidt um vier Zentimeter. Auch als Dritter der DM 1988 in Frankfurt mit 64,70m erfüllte er die Kriterien für eine Nominierung. Doch er und der hinter Rolf Danneberg (67,20m) Zweitplatzierte Schmidt (65,08m) wurden ausgebootet, bekamen die wesentlich jüngeren Wulf Brunner (4. mit 63,66m) und Alois Hannecker (5. mit 61,82m) nach dem Motto „Jugend forscht“ die begehrten Olympia-Tickets.
Tumorerkrankungen vermutlich Folge des Missbrauchs
Fast 40-Jährig Anno 1990 warf Alwin, da schon sechs (!) Jahre nach dem letzten Anabolika-Konsum, 65,80 Meter. Das spricht für sein außergewöhnliches Talent und der These von Fachleuten in zweifacher Hinsicht, dass er bei konsequenterer Vorgehensweise weit über 70 Meter hätte werfen können. Er ist nicht erst seit heute froh, dass er aus ethischen, gesundheitlichen (wobei sein Hirntumor und der noch nicht ausgestandene Kampf mit dem Blasenkrebs wahrscheinlich nicht von ungefähr kamen) und Gründen des Fair Plays dem Dopingsumpf 1984 unwiderruflich entronnen zu sein. Das war bei Offiziellen selbstverständlich bekannt, sodass er bei einem Länderkampf gegen Frankreich 1987 in Versailles wegen der zu befürchtenden Dopingkontrollen obendrein beim Hammerwurf und Kugelstoßen einspringen „durfte“, um seinen „verseuchten“ Sportkameraden den Allerwertesten und zudem je einen Punkt zu retten. Das wurde im Übrigen 1983 beim Drei-Länderkampf Italien – Polen – Deutschland in Turin mit dem späteren Hochsprung-Olympiasieger Dieter Mögenburg praktiziert, der mit 13 Meter soundso viel als Kugelstoßer wider Willen ran musste. Und die größte Sauerei zu unguter Letzt: Beim Länderkampf gegen die Sowjetunion am 30. Juni 1978 in Dortmund gab Steinmetz für seinen mit 62,64m siegreichen, ausgelosten und dort „positiv“ gewesenen Schützling Wagner die Urinprobe ab. Seinerzeit stand der Doping-Kontrolleur beim Müssen-müssen noch nicht unmittelbar neben oder hinter dem Probanden. Fazit allein dieser drei Vorgänge: Ganz üble, geradezu haarsträubende Tricksereien, nett formuliert, unter dem Dach des Fachverbandes. Ein Staatsanwalt würde es wohl als kriminell bezeichnen. Zumindest die drittgenannte "Zirkusnummer".
Der geläuterte Saulus und pensionierte Polizei-Hauptkommissar hält schon seit etlichen Jahren in Schulen sowie Sportvereinen vor Jugendlichen Vorträge im Kampf gegen Doping und Drogenkonsum aller Art.