EM-Schlusstag: "Finale furioso" mit zwei Goldmedaillen gekrönt
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- Geschrieben von Axel Hermanns
(München/Krefeld, 22. August 2022) „Finale furioso“ gestern Abend bei den Europameisterschaften in der Leichtathletik vor rund 40.000 Zuschauern im Münchner Olympiastadion anlässlich der European Championships Munich 2022 mit insgesamt neun Sportarten. Gekrönt mit zwei Goldmedaillen bei fünf Entscheidungen unter deutscher Mitwirkung. Aber auch getrübt durch die sehr kurze Schicht der Sprintstaffel der Männer, die nach dem Halbfinal-Erfolg mit Landesrekord von 37,97 Sekunden zumindest als glühendheißer Medaillenkandidat gehandelt werden durfte. Doch der erste Wechsel von Kevin Kranz auf den zu spät loslaufenden Joshua Hartmann ging nach wildem Gestochere mit letztlichem Stabverlust vollends in die Binsen. Deutlich besser gelang dies den vier Mädels mit dem Bundesadler auf den gestreiften Trikots, wie es mal abgesehen von der Zeit einfach nicht geht: Den Stab einigermaßen schadlos als Erste über die Ziellinie zu bringen, obendrein davon zu profitieren, dass dies querbeet den vom läuferischen Potenzial überlegenen Britinnen und den Französinnen nicht gelang.
Freudentaumel des Sprintquartetts der Frauen und der Zuschauer
Normalerweise heißt es „Ladies first“. Doch diesmal blieb es den Frauen in einer sinnfreien Steigerung des Genderwahns vorbehalten mit dem Wettbewerb über 4x100m für den ultimativen Schlussakkord dieser siebentägigen kontinentalen Titelkämpfe zu sorgen. Den 400 Meter langen Laufsteg der Stadionrunde vollendete das DLV-Quartett in 42,34 Sekunden mit der siebten Goldmedaille. Dabei ging es freilich recht holprig los. Startläuferin Alexandra Burghard versiebte den Auftakt mit der schwächsten Reaktionszeit von 0,252 Sekunden. Auch der Wechsel zu der erneut auf der Gegengeraden sehr stark laufenden Lisa Mayer (für die formschwache, angeblich auch verletzte Tatjana Pinto; vermutet werden darf eine Leistungszerrung) war haarscharf an der Grenze zu misslungen. Trotz ihrer nach dem 100-m-Triumph mit acht Stichen genähten Platzwunde am Bein und dem Verzicht im Halbfinale, legte Gina Lückenkemper einen blitzsauberen Kurvenlauf hin, schickte die als Solistin ebenfalls nicht überzeugende Rebekka Haase (11,52 im Triplefinale) mit Vorsprung auf den letzten Abschnitt der kurzen Reise. Den musste die staffelerprobte 29-Jährige nur noch verwalten. Der Abstand schmolz gegen die läuferisch klar stärkere EM-Vierte Ewa Swoboda (11,18) zusehends dahin, war aber gegen die Nationalrekord laufenden Polinnen (42,61) immer noch groß genug. Der Rest war vierfacher Freudentaumel im Innenraum und beim weit überwiegenden heimischen Publikum mit stehenden Ovationen auf den Rängen.
Speerwerfer Julian Weber durchbrach den Fluch des Viertplatzierten
Das halbe Dutzend an goldglänzendem Edelmetall hatte zuvor Speerwerfer Julian Weber vom USC Mainz vollgemacht, der endlich den Fluch ablegen konnte, bei Großereignissen den medaillenlosen vierten Platz zu belegen. Der 27-jährige Mainzer lieferte nach einem sehr weiten, aber knapp ungültigen zweiten Versuch mit „Vetter-Bauchplatscher“ von etwa 88 Metern im vierten Versuch mit 87,66m sein Meisterstück. Damit verdrängte er den favorisierten WM-Dritten und von Weltrekordler Jan Zelezny (98,48m) trainierten Jakub Vadleijch aus Tschechien um 38 Zentimeter von der Spitze. Der war davon augenscheinlich so beeindruckt und konsterniert, dass er nur noch restlos missratene Versuche zuwege brachte. So stand Weber bereits vor dem finalen sechsten Durchgang als neuer Europameister fest, auf den er dann bei dem gehörigen Spannungsabfall verzichtete. So bleibt also der Titel fest in deutscher Hand, den Thomas Röhler aus Jena 2018 in Berlin gewonnen hatte und sich in der bayerischen Metropole seine „Wild Card“ abfeiernd mit 71,31m gehörig blamierte. Die vernichtende Etikettierung gebührt auch leider Andreas Hofmann. Bereits als Elfter der Qualifikation mühte sich der körperlich monumentale 92,06-m-Werfer mit 77,29m ab. Dieser Rang war auch nach dem Vorkampf des Finales für ihn reserviert, blieb er mit 74,75m unter der Weite von Zehnkampf-Europameister Niklas Kaul (76,05m). Auweia! Ein weiterer Offenbarungseid der Marke Röhler in der einstigen deutschen Speerwurf-Herrlichkeit.
Frank Busemann: "Es ist nicht nun nicht alles gut, darf nicht so weitergehen wie bisher“
Als einer von etlichen Schönheitsfehlern sollte der blank polierte Medaillenspiegel auf Rang eins mit einer Goldmedaille mehr vor Großbritannien (insgesamt jedoch 16:20) den Blick vor der blanken Realität indes nicht verschließen. Das war Europa, dazu noch ohne die stärkste Leichtathletik-Nation Russland, die nicht auf Dauer verbannt bleiben wird, wie seinerzeit Deutschland nach dem 2.Weltkrieg ebenfalls nicht. Im Weltstandard, und das hat die WM in Eugene in aller schonungslosen Deutlichkeit aufgezeigt, spielen die weiblichen und männlichen Germanen lediglich noch eine Nebenrolle mit gelegentlichen Ausreißern nach oben. „Es ist nun nicht alles gut, darf nicht so weitergehen wie bisher“, sei mit dem früheren Weltklasse-Zehnkämpfer und ARD-Experten Frank Busemann nur einer von vielen Fachleuten zitiert, die in dieselbe Kerbe schlagen. Und da ist ein Neuanfang in der selbstgefälligen, restlos überforderten Verbandsspitze um den Vorstandsvorsitzenden Cheick-Idriss Gonschinska und DLV-Chefbundestrainerin Annett Stein dringend vonnöten. Denn irgendwann wird es dem Bundesinnenministerium und dem Bundesrechnungshof zu bunt, in dieses Fass ohne Boden zu investieren. Der Bund der Steuerzahler hat bereits aufgemuckt und viele besorgte Bürger mit ihm in rundum besch... Zeiten wie diesen, wo ganz woanders der Schuh drückt und der Gürtel enger geschnallt werden muss. Die Erfüllung des Rufs nach noch mehr Fördermitteln durch die öffentliche Hand darf es schlichtweg nicht geben, ist zunächst der eigene „Saustall" von grundauf auszumisten.
Alle Resultate vom Schlusstag.